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11.05.2012 Von: jam
Kategorie: Dokumentation

Dokumentation | Rede

Rede Außenminister Westerwelles vor dem Deutschen Bundestag zur Fortsetzung des „ATALANTA“-Einsatzes vor der Küste Somalias, 10.05.2012

Bundesaußenminister Westerwelle. Bildquelle: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Bundesaußenminister Westerwelle. Bildquelle: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!

Noch immer befinden sich sieben Schiffe und rund 210 Seeleute in der Gewalt von Piraten. Sie fürchten um ihr Leben. Sie sind mit dem Tode bedroht. Noch immer bedrohen Piraten die freie Seefahrt und die Hilfslieferungen für Somalia, die für Millionen hungernder Menschen überlebenswichtig sind. Noch immer verdienen Kriminelle mit Kaperungen und mit Geiselnahmen Millionen. Vor dem Hintergrund dieser Lage betrachtet es die deutsche Bundesregierung nicht nur als ihr Recht, sondern auch als ihre menschliche Verpflichtung, Piraterie robust und beherzt zu bekämpfen und unsere eigenen deutschen Seeleute zu schützen.

Das, was Sie an Bedenken vorgetragen haben, ist vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass Atalanta eine EU-geführte Mission ist, besonders bemerkenswert. Sie wurde übrigens im Jahr 2008 beschlossen. Der damalige Bundesaußenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat das erste Atalanta-Mandat in den Deutschen Bundestag eingebracht. Herr Erler, wenn Herr Steinmeier Ihre Rede hätte hören müssen, dann wäre er hinausgegangen, um sich zu schämen.

Denn mit Verlaub gesagt: Jeder weiß doch, wie Sie in der Fraktion miteinander gerungen haben. Herr Steinmeier ist nicht hier, weil er mit dieser neuen Entscheidung Ihrer Fraktion ja gar nicht einverstanden ist. Das wissen wir.

Darüber ist ja offenkundig auch in der Presse berichtet worden.

Sie sagen, das sei nicht das Vorzeichen eines außenpolitischen Strategiewechsels der SPD. Wir hoffen es sehr. Die Zeit wird es zeigen. Ich glaube, Ihre heutige Entscheidung hat mehr mit Wahlkämpfen zu tun als mit der Interessenswahrnehmung deutscher Außenpolitik.

Die Zeit wird es zeigen.

Herr Kollege, Sie haben gefragt: Was sich seit dem letzten Mandat bis heute verändert? Das ist eine berechtigte Frage. Inzwischen gibt es einen Beschluss der Europäischen Union, und zwar einen Beschluss von 27 Mitgliedstaaten, abgestimmt mit der somalischen Übergangsregierung, unterstützt von den Resolutionen der Vereinten Nationen. Das hat sich geändert.

Ich erinnere mich noch an eine Debatte, in der Sie mir und der Bundesregierung mangelnde Bündnistreue vorgeworfen haben, nämlich als wir entschieden haben, nicht mit Soldaten nach Libyen zu gehen. Dass Sie sich heute aus der europäischen Politik abseilen, bedeutet nur eines: Erinnern Sie uns niemals wieder an Bündnistreue, meine Damen und Herren von der Opposition, niemals wieder!

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Arnold?

Guido Westerwelle:

Nein. […] - Wenn Ihr Seelenheil davon abhängt, ändere ich meine Meinung. Herr Arnold, bitte sehr.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Außenminister, mein Seelenheil hängt in der Tat nicht davon ab.

Guido Westerwelle:

Dann brauchen Sie ja nicht zu fragen.

Rainer Arnold (SPD):

Ich möchte der Klarheit halber fragen und um der korrekten Information willen, die mir sehr wichtig ist. Deshalb bedanke ich mich, dass Sie diese Frage zulassen.

Es ist bemerkenswert, dass Sie in den letzten Minuten die internationale Solidarität in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben. Können Sie sich noch daran erinnern, dass diese internationale Solidarität eben nicht eingehalten wurde ‑ und zwar exakt von Ihrer Partei mit Ihnen als Fraktionsvorsitzendem ‑, als es um die Entscheidung zum Libanon ging, dass Sie das abgelehnt haben?

Können Sie sich daran erinnern, dass Sie in Ihrer neuen Funktion als Außenminister die wichtige internationale Solidarität ebenfalls nicht beachtet haben, als es im Falle von Libyen darum ging, bei den Vereinten Nationen mit einem richtigen und ethisch gebotenen Ja zu antworten? Und können Sie sich als Letztes daran erinnern, dass unser Nein zu Ihrem heutigen Mandat nicht dazu führt, dass nichts da ist? Vielmehr führt unser Nein dazu, dass das bisherige Mandat Atalanta, wie im Dezember beschlossen, weiter gilt. Das Mandat gilt, wenn man heute mit Nein stimmt.

Guido Westerwelle,:

Das ist allerdings eine Argumentationslinie, die Sie mehr zur Beruhigung Ihrer eigenen Fraktion vortragen, weil nämlich die Hälfte davon in dieser Frage auf der anderen Seite steht.

Darauf brauche ich nicht einzugehen.

Aber ich will auf einen Punkt eingehen, bei dem Sie recht haben. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass ich als Fraktionsvorsitzender seinerzeit das UNIFIL-Mandat, bei dem es um einen Einsatz vor der Küste des Libanon ging, abgelehnt habe. Ich erinnere mich auch noch an die Rede, die ich dazu gehalten habe, weil es eine für mich sehr schwierige Rede war. Es ging nämlich um die Frage, ob wir dort, in der Nähe zu Israel, mit deutschen Soldaten präsent sein sollten, und was es bedeuten würde, wenn wir als Deutsche beispielsweise in eine Kampfhandlung hineingezogen werden könnten.

Es gibt einen Unterschied zwischen uns: Wir haben es abgelehnt. Die damalige Regierung hat es beschlossen, der damalige Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit zugestimmt. Wir waren in der Minderheit. Als wir dann in die Regierungsverantwortung gewählt wurden, war es für meine Fraktion und auch für mich als Außenminister völlig selbstverständlich, dass die internationalen Verpflichtungen, die von der Vorgängerregierung eingegangen worden sind, von uns verantwortungsvoll erfüllt und fortgesetzt werden. Nichts anderes erwarte ich von Ihnen, als dass die internationalen Verpflichtungen, die Sie selbst 2008 eingegangen sind, für Sie auch heute noch gelten. Nichts anderes erwarten wir von Ihnen.

Meine Damen und Herren, die Einsatzkräfte dürfen dabei eben nicht am Boden eingesetzt werden. Kein deutscher, kein europäischer Atalanta-Soldat wird somalischen Boden betreten. Dass etwaige Rettungsaktionen davon unberührt sind, ist eine Selbstverständlichkeit.

Was für einen Popanz bauen Sie hier vor der Öffentlichkeit auf? Es ist doch wohl das Selbstverständlichste - das Gebot der Nothilfe gilt bei jedem Mandat -, dass wir, wenn unsere Soldaten oder Soldaten unserer Verbündeten in Not geraten - etwa weil sie abgeschossen worden sind oder notlanden müssen -, unsere Leute herausholen werden. Das machen wir immer so! Das machen wir überall!

Und das erwarten wir auch von unseren Verbündeten, wenn unsere deutschen Soldaten gefährdet sind. Das hat mit diesem Mandat überhaupt nichts zu tun.

Natürlich behauptet niemand, meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass wir jetzt einen Königsweg gefunden haben und dass damit die Piraterie so bekämpft ist, dass alles vorbei ist. Wir wissen - darauf komme ich gleich noch -, dass dafür viel mehr notwendig ist.

Aber eines muss man unseren Soldaten doch einmal sagen: Dass sie die Piraterie - deren Waffen und Logistik - zwar auf See bekämpfen dürfen - da dürfen Terror und Gewalt unschädlich gemacht werden -, sobald die Piraten aber mit ihren Waffen den Strand betreten haben, dabei zusehen müssen und nichts machen dürfen, das ist absolut unvernünftig. Es ist richtig, den Piraten den Einsatz von Waffen und Gewalt, soweit es geht, zu erschweren.

Darum geht es. Und das tun wir mit der entsprechenden Mandatierung.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal vom Kollegen Ströbele?

Guido Westerwelle:

Herr Kollege Ströbele, ich freue mich natürlich auch auf Ihre Zwischenfrage. ‑ Bitte sehr.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Außenminister, Sie haben diese Frage selbst angeregt, indem Sie das Beispiel gebracht haben, dass Rettungsaktionen notwendig und richtig sind, wenn ein Bundeswehrhubschrauber abgeschossen wird oder notlanden muss und Bundeswehrsoldaten sich infolgedessen im Uferstreifen befinden oder wenn das Alliierten passiert.

Denken Sie auch an den Fall, dass Alliierte mit Truppen in den Küstenstreifen gehen? Ich meine den Fall, dass sie dort selbst einen Kampfauftrag ausführen

und versuchen, den Streifen zu erobern und Leute - beispielsweise al-Schabab-Milizen - zu vertreiben. Wird die Bundeswehr auch dann eingreifen, wenn Verbündete in diesem Fall in eine kritische Situation geraten?

Sie wissen, dass andere Nationen die von Ihnen genannte Einschränkung auf reine Aktionen zur Rettung von Personen, die unverschuldet in Not geraten sind, nicht haben. Ist Ihnen bekannt, dass inzwischen gerade die al-Schabab-Milizen Piraterie an der Küste Somalias als Geldquelle entdeckt haben und dort in nicht unerheblicher Größenordnung agieren? Wird die Bundeswehr, wenn sie mit Hubschraubern direkt darüber ist, dann beidrehen und zurückfliegen, weil sie sagt: „Das ist nicht unsere Aufgabe“?

Wird die Bundeswehr - das ist der letzte Teil der Frage - auch dann nicht eingreifen, wenn die Milizen beispielweise ein Tanklager in dem Küstenstreifen haben und sich Männer, Frauen und Kinder in der Nähe befinden? Werden die Hubschrauber der Bundesmarine dann abdrehen und zum Schiff zurückkehren?

Können Sie mir diese Fragen beantworten? Denn ich befürchte, dass wir durch den Einsatz der Bundeswehr an Land bald hier in Deutschland Bilder von sogenannten Kollateralschäden an Menschen, die an der Küste Somalias durch die Bundeswehr verursacht werden, bekommen werden.

Guido Westerwelle:

Zunächst einmal ein herzlicher persönlicher Appell an Herrn Kollegen Trittin als anwesenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen: Bitte erleichtern Sie uns allen doch die Debatten, indem Sie Herrn Ströbele ab und zu mal Redezeit geben, damit er nicht immer Reden in Frageform einbringen muss!

Herr Kollege Ströbele, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Diese Invasionsgedanken, die Sie hier in Frageform kleiden, sind so was von absurd.

Sie unterstellen hier allen Ernstes unseren Verbündeten, die die Piraterie bekämpfen wollen, invasionsähnliche Gedanken. Dass man das von der Linkspartei hört, ist schwer genug; dass man das auch noch von Ihnen hören muss, ist, offen gestanden, nichts anderes als ein Ausdruck einer völligen Verirrung in der Betrachtung unseres Bündnisses.

Das hat mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun. Auf diesen Punkt komme ich gleich zu sprechen.

Ich will Ihnen noch etwas sagen ‑ ich habe oft mit Ihnen auch im Auswärtigen Ausschuss darüber gesprochen; wir können das hier gerne wiederholen; wir haben oft darüber in diesem Deutschen Bundestag gestritten und uns auseinandergesetzt ‑: Einen Soupçon, den Sie in dieser Debatte immer wieder einbringen, kann ich nicht nachvollziehen - so, als wäre die Piraterie zunächst einmal das Ergebnis von armen Menschen, denen die Fischereigründe genommen würden,

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

und als müssten die Menschen gewissermaßen aus Notwehr zu Piraten werden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das ist eine völlige Verkennung dieser riesigen organisierten Kriminalität. Diese Romantisierung von Piraterie zulasten unserer Handelswege, mit der Bedrohung unserer Landsleute und der Gefährdung unserer Seewege ist nur noch naiv bis absurd, Herr Kollege.

Was den Operationsplan angeht: Sie sind doch Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Sie waren doch im Ausschuss dabei. Staatsminister Link hat Ihnen doch alles ausführlich erläutert. Es ist doch vorgetragen worden. Der Punkt ist: Sie wissen ganz genau, dass der Deutsche Bundestag öffentlich tagt und dass es hier um militärische Überlegungen geht. Die EU-Definition von „Strand“ ‑ worauf Sie anspielen ‑ ist im Operationsplan festgelegt. Sie als Abgeordneter können diesen Operationsplan jederzeit einsehen und lesen. Dann wüssten Sie, dass das alles nicht stimmt. Was Sie wollen, ist, dass ich die Geheimschutzpflicht verletze, das tue ich aber nicht. Wir sind in einem Bündnis, und ich halte mich an die Regeln, die wir gemeinsam im Bündnis verabredet haben, auch wenn das für Sie Klamauk ist.

Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der von großer Bedeutung ist. Atalanta ist in eine umfassende Politik zur Unterstützung Somalias eingebettet. Wir lindern mit unserer humanitären Hilfe das Leid von Millionen von Menschen. Wir fördern den Verfassungsprozess und den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Somalia. Wir unterstützen die Schaffung eines sicheren Umfeldes durch die Beteiligung an der EU-Trainingsmission Somalia und durch die Ausbildung afrikanischer Polizisten als Trainer und Berater für die somalische Polizei. Wir helfen mit erheblichen Finanzmitteln der Mission der Afrikanischen Union in Somalia. Wir beteiligen uns an den Anstrengungen der EU und unserer afrikanischen Partner, regionale Küstenwachen aufzubauen. Außerdem wenden wir uns verstärkt der Unterbindung der Finanzströme der Piraterie zu. Wir haben eine internationale Arbeitsgruppe eingesetzt, die zur Aufdeckung der aus Piraterie resultierenden Finanzströme beitrag en soll. Ich füge hinzu, weil es nicht im Mittelpunkt der Debatten steht: Wenn wir Piraterie bekämpfen wollen, dann müssen wir zum einen gegen Gewalt vorgehen, aber wir müssen auch die Ursachen bekämpfen, sprich: die Finanzströme der Lösegelder versiegen lassen.

Wir tun sehr viel mehr, als einfach unsere Streitkräfte einzusetzen. Darauf sind wir stolz, auch auf das, was unsere Soldatinnen und Soldaten tun.

Es geht hier um eine Mission zur Sicherung von Lebensmitteltransporten. Es ist wichtig, dass diese Mission fortgesetzt wird. Ich bedauere von Herzen, dass Sie aus vorgeschobenen innenpolitischen Gründen bei der Pirateriebekämpfung nicht mehr mitmachen.

Ich hoffe, das ist nicht das Vorzeichen eines Richtungswechsels in der Außenpolitik der Opposition. Ich hoffe, dass Sie wieder zur Vernunft zurückkehren werden. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind jedenfalls der Überzeugung, dass wir bei der Piraterie nicht zusehen dürfen. Wir sind die wichtigste und größte Handelsnation in Europa. Deswegen wäre es unverantwortlich, wenn wir den Schutz unserer Seeleute und der Handelswege ausgerechnet allen anderen überlassen würden, aber selber nicht mehr mitmachen wollten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.